In ihrer Lernhaltung vorbildlich

IMG_5664Drüben bei Mama Notes gibt es eine Blogparade, in der über die Kindheit und das Elternsein in der DDR erzählt wird. 11 Jahre DDR habe ich miterlebt, somit meine komplette Kindheit im Osten verbracht und mit dem Wandeln ins Teenageralter den Wandel in den Westen durchlebt. Ein paar Erinnerungen möchte ich hier mit Euch teilen.

Geboren bin ich fast im Trabant. Das ist so lächerlich wahr wie es klingt. Meine Mutter hat die ersten Wehen nicht ganz ernst genommen. Zu sehr war sie damit beschäftigt den fünften Geburtstag meines Bruders am nächsten Tag vorzubereiten. Ich stand noch nicht auf dem Plan und im Osten lief schließlich alles nach Plan. Doch irgendwann wurde klar – ich war nicht aufzuhalten. Ich war somit im Bauch schon ein „Sturkopf“. Telefone waren nicht so weit verbreitet, also mussten Nachbarn informiert werden, die dann meinen Vater anriefen, der mit dem Trabant von der Arbeit heim sauste um dann – wie er sagt – im Tiefflug ins nächste Krankenhaus zu fahren. Aus dem Kreißsaal wurde eine Frau raus geschoben, meine Mutter rein. Mein Vater wartete vor der Tür und hörte schon bald meinen ersten Schrei. „Ein Junge“, dachte er sich, denn ich hatte Stimme. Wie meine Mutter erzählte, kam ich sobald ins Säuglingszimmer, sie auf Station. Alle vier Stunden brachte man mich zum Stillen, was aber nicht funktionierte, weil sie nicht genug Milch hatte. All das erzählte mir meine Mutter, während ich mit Frau Klein im Wochenbett lag – ambulant entbunden, keine 4 Stunden nach der Geburt daheim und nach wenigen Tagen vor Milch platzend. Es tat mir leid für meine Mutter, dass die Bedingungen damals so waren. Und es tat mir leid für mich, denn Frau Klein haltend war es für mich unvorstellbar, dass ich sie nur alle vier Stunden sehen dürfe. Und sie mich.

Mein Vater hatte Glück, dass er durch die Tür überhaupt so nahe war. Bei der Geburt meines Bruders 5 Jahre zuvor war er bei der NVA und wurde per Telefon von meiner Oma über die Geburt seines Sohnes informiert. Vor ein paar Jahren fuhr er mit mir zur alten Kaserne und zeigte mir, auf welcher Stufe er saß, als er die Nachricht erhielt. Da spürte ich die Verschiedenheit der Welten, in der wir gelebt und Eltern geworden waren.

Die ersten Lebensjahre verbrachte ich auf dem Dorf. Mit einem Jahr kam ich dort in die Krippe und meine Mutter ging zurück in ihren 40h Job. Als ich 2 war, trennten sich meine Eltern. Als ich 5 war, übersiedelten wir in eine Kleinstadt nahe der Grenze zum Westen. Ich ging ungern in den großen Kindergarten dort, auch wenn ich da meine erste Liebe fand und küsste… Ich erfand unmöglichste Krankheiten, um bei meiner Mutter bleiben zu können. Mit 7 kam ich in die Schule und war selig. Ich wollte lesen und schreiben lernen, schon vorher, doch ich durfte nicht. So lernte ich sehr schnell und mir war unglaublich langweilig in der Schule. Ich erhielt Urkunden für Gutes Lernen und war stolz. Die erste Klasse schloss ich mit ausschließlich Einsen ab. Wir zogen erneut um und ich kam in eine neue Schule, was mir extrem schwer viel. Nach einem Jahr wechselte ich somit erneut die Schule und besuchte dann eine Sonderklasse – wir lernten bereits in der dritten Klasse eine Fremdsprache: russisch. Ich hatte Freude an den neuen Buchstaben und Worten. Dafür ging es in Mathematik bergab. Die Urkunden wurden weniger. Der Druck größer. Und so hangelte ich mich weiter. Meine durchschnittlich guten Noten erhielt ich durch Auswendiglernen. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, es schien logisch. Und die Noten waren entsprechend. Sehr wichtig waren auch die sogenannten Kopfnoten, das waren die „Allgemeinnoten“. Betragen, Mitarbeit, Ordnung und Fleiß. Bis auf Ordnung hatte ich da immer gute Noten. Das mit der Ordnung ist geblieben.

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Das Auswendiglernen war im Osten natürlich die perfekte Lernform. Denn man nahm auf und wiederholte. Ohne zu denken. Wie oben geschrieben steht: „In ihrer gesamten Lernhaltung ist sie vorbildlich.“ Das kann man heute betrachten wir man will…

Die Grenzöffnung erlebte ich mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Als ich in die Schule zurück kehrte, war nichts mehr wie es vorher war. Schüler fehlten, Lehrer fehlten. Statt Unterricht hörten wir Nachrichten und versuchten mit unseren 11 Jahren zu begreifen, was das bedeutete, was da vor sich ging. Wie wir das letzte Schuljahr beendeten, weiß ich nicht mehr genau. Es folgte ein „Zwischenjahr“ zwischen altem System und Neuem. Und danach begann das neue Leben des Westens mitten im Osten.

Ich hatte Glück. Meine eigene Meinung bildete ich mir erst später. Und weil ich immer so brav auswendig gelernt hatte und wenig hinterfragt, lernte ich auch erst sehr viel später, nach der Schule, dies zu tun.

Kinder wie ich hatten es leicht im Osten. Ich war sensibel und schüchtern. Somit im Sinne des Systems angepasst und ruhig. Vorbildlich eben. Ich wurde gelobt, erhielt Auszeichnungen und Urkunden. Manchmal frage ich mich, was aus mir geworden wäre. Denn innerlich bin ich ein Mensch, der sehr viel nachdenkt, sehr viel überlegt und reflektiert. War ich immer so oder bin ich so geworden? Wie wäre ich damit in einem System wie dem der DDR umgegangen? Mein Bruder war zur Wende 16. Leider kann ich ihn nicht mehr fragen, wie er es erlebt hat. Was ich mich erinnere ist, dass er mich immer sehr kritisiert hat, weil ich nur auswendig lerne und nicht hinterfrage. Was er wohl gesehen hat hinter seinen Fragen?

Die Mauer nahm ich nicht wahr, obwohl ich nur wenige Kilometer von ihr entfernt wohnte. Oder vielleicht deshalb. Wir hörten Westradio und schauten Westfernsehen. Es war unser Alltag. Der Wetterbericht des Westens stimmte ja örtlich so ziemlich mit unserem überein. Den Verkehrsfunk überhörte ich. Und war nach der Wende fast erstaunt, als ich entdeckte, dass es die Orte aus dem Radio wirklich gab.

 

Erinnerungen habe ich viele. Viele gute. Als Kind war es leicht im Osten. Es war alles klar und vorgegeben. Geordnet. Und vielleicht auch einfacher, denn die Auswahl war übersichtlich. Aber ich bin froh rechtzeitig in den Westen gespült worden zu sein. Und jetzt leben zu können, wie und wo ich will. Dafür bin ich dankbar.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ein Jahr trennt uns und unsere Erinnerungen sind fast die gleichen, mal schauen, ob ich auch noch mitmache bei der Blogoparade. Danke, für das teilen deiner Gedanken ….

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