Ich zeig Dir was. Nicht.

Kürzlich habe ich wieder einen Artikel gelesen, in dem es darum ging, wie wir unserem Kind das Sprechen beibringen können. Ich habe mich bereits an dem Titel gestoßen, an dem Wörtchen „beibringen“. Ja, unsere Kinder sind klein und neu auf dieser Welt. Aber heißt das wirklich, dass wir ihnen alles beibringen und zeigen müssen?

Wie zu erwarten war lautet meine Antwort: Nein. Und ich glaube, dass viele von Euch jetzt ebendso denken. Aber warum lassen wir uns dann doch immer wieder dazu hinreißen? Zeigen einem Kleinkind, wie man „richtig“ mit etwas spielt, anstatt es experimentieren zu lassen? Warum führen wir Babies an den Händen durch die Wohnung, bevor sie selbständig laufen können? Warum wird so oft ein gemeinsames Bilderbuchschauen zum Quiz a la „Naaa, und was ist das?“

Einerseits glaube ich, dass es unsere heutige Gesellschaft ist. Wir rasen nur so durch die Zeit. Und es geht mehr um Leistung, Erfolg und Karriere als um das eigene kleine Glück. Momente versinken im tosenden Meer aus Stress und Hektik. Das große Ziel überwacht die kleinen Erfolge. So geht es auch schon unseren Kindern.

Kaum können sie sich auf den Bauch drehen, warten wir, dass sie sitzen können, krabbeln, laufen. Ist das erfolgreich gemeistert, streben wir dem Spracherwerb entgegen. Dabei übersehen wir oft, womit sich unsere Kinder gerade jetzt, in diesem Moment, beschäftigen. Was sie ausdauernd immer und immer wieder üben. Und welche Freude und Begeisterung das mit sich bringt.

Andererseits ist es auch die Tendenz des Vergleichens. Wir sind umgeben von Ratgebern, die uns sagen, was ein Kind wann und wie können sollte. Gleichzeitig kennen wir mittlerweile unzählige Kinder im gleichen Alter wie das unsere und meist können die dies und jenes schon viel viel früher.

Und auch wenn Lienhard Valentin vom Verein ‚Mit Kindern wachsen‘ so wundervoll sagt „Jedes Kind ist anders. Jeden Tag.“, so wage ich zu behaupten, dass jede, JEDE Mutter an den Punkt kommt, an dem sie vergleicht. Ihr Kinder mit hundert anderen. Die anders sind. Jeden Tag.

Ich weiß wovon ich rede. Herr Klein war und ist ein sehr gemütlicher Zeitgenosse. Sitzen, Krabbeln, Gehen – er hatte damit keinen Streß. Seine Sprache entwickelt sich auch eher langsam. Der Sohn einer Freundin, der nur 11 Tage jünger ist als Herr Klein, spricht mittlerweile ganze Sätze, ist mit 12 Monaten frei gegangen und war bisher immer, in allem eher früh dran. Es war unumgänglich, dass ich vergleiche. Und auch hin und wieder frustriert war. Aber es war nie so schlimm, dass ich der Meinung war, ich müsste Herrn Klein irgendetwas beibringen. Was auch?

Das Gehen ? War ihm einfach nicht wichtig. Seitdem er krabbeln konnte, kam er hin, wo er hin wollte. Er war zufrieden.

Das Sprechen? Nun ich rede mit ihm. Natürlich. Ich zeige und erkläre ihm die Welt um ihn herum. Aber ich kann ihm keine Worte in den Mund legen. Wir verstanden uns auch ohne Worte ganz gut und mittlerweile formt auch er die ersten Sätze.

Und dass er die Puzzleteile besser navigieren kann, wenn er sie am Knopf anfasst, wird er auch noch selbst bemerken. Dass nicht jeder Vogel eine Taube ist, nicht jede Grünpflanze ein Baum. All das kommt. Von allein. Denn Kinder sind interessiert und begeistert. Sie wollen lernen. Oder wie Maria Montessori sich ausdrückte: „Kinder können nicht nicht lernen.“

Das Problem ist eher unsere eigene Ungeduld. Dabei sind Kinder DIE Chance im Leben, ein wenig ruhiger zu treten, zur eigenen Mitte zurückzufinden und dem rauschenden Fluß etwas zu entschwimmen. Hinaus in einen Seitenarm, der leise und ruhig dahinwellt. Denn in den Fluß treiben wir früh genug zurück. Spätestens, wenn unsere Kinder in die Schule gehen, und Leistungsdruck und Erwartungen ihren Alltag erfüllen. Gönnen wir ihnen bis dahin die Zeit, die sie brauchen. Und uns etwas Entspannung, die wir nötig haben.

 

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Markus

    Im Übrigen ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Kleinkinder Sprache nicht im herkömmlichen Sinne lernen und Eltern es ihnen auch nicht beibringen. Sie werden als "Sprachschwämme" geboren und haben bereits vorgefertigte grammatische Strukturen angelegt. Sie brauchen nur Input, das heißt, sie müssen sinnhaft verwendete Sprache hören. Es gibt sogar Kulturen, die nicht mit ihren Babys reden, bis sie selbst sprechen können. Alles kein Problem. Weiters sind Sprachentwicklungsunterschiede von bis zu sechs Monaten, teilweise sogar einem Jahr, absolut unproblematisch. Ich gehe also davon aus, dass er oben angeführte Artikel wohl faktisch falsch ist.

  2. NADiNE

    Interessant, von solchen Kulturen hab ich noch nie gehört. Aber davon, dass die Sprache bereits angelegt ist. Deshalb sag ich ja: ganz normal mit dem Kind kommunizieren. Der Rest kommt von allein. Früher. Oder eben später.

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