Frag mich, sonst schweig ich.

Am Samstag fuhr ich mit Herrn Groß und Herrn Klein in einem Lift, in den sich auch ein eigentlich gehfähiges älteres Ehepaar quetschte. Herr Klein war sehr müde und saß daumenlutschend, ins Narrenkastl schauend im Wagen. Die Dame sah ihn an und wagte den bisher dreistesten aller Sprüche: „Na Du armes Kind, hast Du kein Lutschi, dass Du am Daumen lutschen musst?“ Man ist in solchen Momenten gelähmt im Mund, leider. Oder besser so. Denn hinterher fielen uns ca 100 verschiedene Varianten ein, darauf zu reagieren. Keine davon wirklich freundlich.

Auch mir begegnen im Alltag Situationen, die ich laut und ungläubig kommentieren möchte. Aber genau das sind die Momente, in denen sich die angehende Familienbegleiterin auf die Zunge beißt.

Es ist klar – seitdem ich mich mit allen Thematiken um Eltern, Kinder und Familien befasse, betrachte ich die Welt um mich herum wie ein großes Aquarium. Jeder Spielplatzbesuch gleicht einer Hospitation, die Besuche beim Kinderarzt bieten mir Recherchematerial für eine ganze Doktorarbeit. Die Feinheit dabei ist jedoch, sich das nicht anmerken zu lassen. Keine kritischen Blicke, keine wertenden Mimiken oder Gestiken und vor allem: keine Kommentare!

Das ist nicht immer leicht. Aber wer bereits – so wie wir am Samstag – von anderen komplett fremden Personen zu so persönlichen, die eigene Familie, die eigenen Kinder betreffenden Themen angesprochen und vor allem bewertet wurde, der weiß, wie ablehnend, wie wütend und negativ man auf solche Kommentare reagiert.
Würde ich nun also überall meine wohlmeinenden Ansichten zu Wort bringen, wäre ich als Familienbegleiterin sicher recht bald allein auf weiter Flur. Denn es ist nicht möglich, Menschen zu berichtigen, zu helfen oder zu unterstützen, wenn diese nicht darum gebeten haben.
Das gilt für Alkoholiker, psychisch Kranke oder eben auch Eltern.

Es ist aber nicht nur das Gefühl, auf etwas angesprochen zu werden, was eventuell schon leise in uns schlummert und brodelt, oder auch noch gar nicht bemerkt wurde. Diese Gefühl zu versagen, etwas komplett falsch zu machen und neben der Spur zu laufen.
Es ist ebenso die Tatsache, dass man ein Problem nicht lösen kann, wenn keine Frage da ist. Denn das, was ich unterwegs, auf der Straße, am Spielplatz sehe, sind Momentaufnahmen. Sie sagen nicht, rein gar nichts, über das gesamte System dieser einen Familie aus.
Und eine Frage ist erst dann da, wenn die Person diese Frage selbst formulieren kann, ihr Problem kennt und bereit ist, mir mehr über all das zu erzählen, was damit zusammenhängt.

Also ist es ok zu beobachten, interessiert zu schauen und ja, auch hie und da zu bewerten. Wenn ich all das für mich behalte, schlucke und als Lernprozess sehe. Und meine Kommentare dann abgebe, wenn sie interessiert gehört und aufgenommen werden wollen. Dann bewirken sie auch etwas, und das ist es doch, was ich möchte. Bewirken.

Was sind die schärfsten Sprüche, die Euch als Eltern begegnet sind? Und wie habt Ihr reagiert?

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Tibamietz

    Hallo Nadine,ich hatte den Klassiker "Besserwisser". Stadtfest Schkeuditz. Meine Tochter pendelt zwischen Hüpfburg und Butterfly-Karussell. Da sie nicht von der Hüpfburg runter will gehe ich schonmal Chips für den Butterfly kaufen und überlasse sie und ihren Bruder in der Obhut ihrer Oma. Als ich zurückkomme, ist der Junior bei der Oma vor der Hüpfburg, meine Tochter noch drauf. Ich rufe sie und sag ihr wo wir hin wollen. Eigentlich freut sie sich, andererseits will sie noch nicht runter. Nach der 5. Aufforderung schaue ich nicht mehr ganz so freundlich drein und auch mein Ton ist nicht mehr kindgerecht. Immerhin sind Oma und Janek schon vorgegangen. Schließlich läßt sich auch meine Tochter wutschnaubend dazu herab, zu mir zu kommen und betitelt mich dabei noch als gemein. Als ich ihr sage, dass alle schon beim Butterfly warten, wo sie schließlich unbedingt hinwollte und es schön wäre, wenn sie wieder freundlich guckt, ertönt eine lässige Stimme aus dem Off: "Wenn du so ein Gesicht ziehst, brauchst DU dich bei deiner Tochter nicht zu wundern".Der Kommentar kommt von einer Frau anfang 20, mit lässigem Grinsen und spöttischem Augenzwinkern. Mir bleibt die Spucke weg und ich gehe einfach weiter. Die Frau hatte übrigens kein Kind dabei.

  2. NADiNE

    jaja. ich glaub sogar, dass ich vor Jahren noch ähnlich gedacht hätte, wie die Frau. Weil man eben nie wirklich die Gesamtsituation erkennt. Und ohne Kind schon gar nicht.Das schlimme ist ja – solche Kommentare kann ich oft noch unter "nicht mal ignorieren" verbuchen. Aber diese gutgemeinten, die hilflose Mutter unterstützen wollenden, die machen mich dann echt wütend.

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