Extrawurst

Kürzlich wurde uns in zwei verschiedensten Arten mitgeteilt, dass Herr Klein sehr ungehalten und ungeduldig reagiere, wenn es in der Krippe in den Garten geht und ihm niemand SOFORT beim Anziehen hilft. Das kommt mir sehr bekannt vor. Und ich frage mich, warum es so schwer ist, darauf einfach einzugehen ?

Dass die erste Mitteilung zwischen Tür und Angel Freitags untermalt von hektischen Bewegungen der Pädagogin stattfand, möchte ich jetzt gar nicht weiter anreißen. Vielmehr bin ich froh, dass Herrn Groß gestern auf freundliche und ruhige Art und Weise mitgeteilt wurde, was das eigentliche „Problem“ ist. Eben, dass Herr Klein so unglaublich gern in den Garten geht und es nur schwer aushält, wenn andere Kinder vor ihm angezogen und hinausgeschickt werden. Ja, er beginnt zu weinen. Nein, er kann sich auf Bitten und Drängen der PädagogInnen derweil nicht die Schuhe selbst an ziehen. Weil. Er. Es. Noch. Nicht. Kann. Nein, Abwarten und geduldig sein sind obendrein momentan nicht seine Stärke.

Meine eigentliche Frage ist nun jedoch: Worin liegt das Problem wirklich? Darin, dass die PädagogInnen es nicht aushalten, wenn ein Kind ungeduldig und weinerlich ist? Das trifft wohl auf die Person zu, die mich ebenso ungeduldig und ungehalten zwischen Tür und Angel angesprochen hat. Aber womöglich auch darin, dass es bei 20 Kindern einfach stressig wird, wenn eins (oder gar mehrere) die Zeit nicht abwarten kann.
Oder verbirgt sich hinter dem eigentlichen Problem nicht das wahre Problem – nämlich das, dass das Kind hier ein Bedürfnis äußert, welches ihm enorm wichtig ist. Und welches in beiden Fällen von der Pädagogin als nicht so wichtig anerkannt wird. Nämlich – dass dieses Kind unglaublich gern in den Garten geht und es ihm unglaublich wichtig ist, dort als einer der ersten zu sein. Also könnte man doch schauen, dass es als eines der ersten angezogen und hinausgeschickt wird. Eine unverfrorene Erwartung aus Muttersicht? Ich sage: Nein! Stattdessen nenne ich es: Simples Erkennen von Tatsachen. Anerkennen von (uns oft unverständlich) dringlichen Bedürfnissen.

Doch das fällt uns oft nicht ein. Wie kommt ein Kind dazu die Extrawurst zu spielen und „bevorzugt“ behandelt zu werden? Denn so würde es doch aussehen. Und wer kennt ihn nicht, den Satz aus der Kindheit: „Musst Du immer eine Extrawurst spielen?“
Das denken sie also. Die Erwachsenen. Die am Flughafen aufspringen, wenn die Passagiere der Gruppen A&B aufgerufen werden, nur, um ihnen mit ihren Gruppe D Tickets in den Händen im Weg zu stehen. Die vor der U-Bahn Trauben bilden, weil der Zug ja ohne sie abfahren könnte. Die wegen einem neuen smartphone umringt von hunderten anderen Menschen vor einem Geschäft mit Obstaufdruck hausieren. Genau diese Leute glauben, wir würden unsere Kinder verziehen, wenn wir auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Ich wünsche: Umdenken bitte! Dem Kind einfach nur hin und wieder die Aufmerksamkeit schenken, die ihm gerade gut tut. Sagen: „Es ist Dir grad sehr wichtig, ganz schnell in den Garten hinauszukommen. Weil Du da so gern bist.“ Dem Kind somit das Gefühl geben, verstanden zu werden.
Nein, ich bin nicht ganz so naiv und weiß, dass ein Krippen- oder Kindergartenalltag nicht so abläuft, wie wir Mütter uns das oft wünschen. Wenn es dann also nicht immer möglich ist, das Kind mit als eines der ersten anzuziehen, so kann ich zumindest sagen: „Das fällt Dir grad sehr schwer zu warten. Ich werde Dir helfen sobald ich hier fertig bin.“

Wenn wir den Kindern nicht nur mit Druck und Erzieherdrang begegnen und erwarten, dass sie sich unseren Vorstellungen von Abläufen anpassen, so werden wir Menschen aus ihnen machen, die gar nicht erst das Gefühl entwickeln, sie würden etwas verpassen. Weil sie verstanden wurden, wissen, dass ihre Gefühle und Bedürfnisse gut und normal sind. Und weil sie gelernt haben damit umzugehen, wenn nicht sofort auf sie eingegangen werden konnte. Weil sie nicht als Extrawurst abgestempelt, sondern hin und wieder auch als Extrawurst behandelt wurden.

„Im Laufe der primären Sozialisation begegnet es einer sich weitenden Welt und lernt dabei unablässig, durch den Erwachsenen aktiv unterstützte, Erwartungen in verschiedenen Situationen zu berücksichtigen, ohne sich selbst aufzugeben. Soziale Erwartungen zu erkennen, zu verstehen und zu erfüllen und dabei zugleich eigene Interessen zu entwickeln und zu entfalten, ist eine anspruchsvolle Aufgabe für das kleine Kind, bei der es oft im Spannungsfeld zwischen seinen Wünschen und den Erwartungen der Umgebung steht.
Wir helfen dem Kind, wenn wir uns in seine Schwierigkeiten hineinversetzen, wenn wir ihm Erwartungen geduldig, friedlich und konsequent vermitteln, wenn wir die Gründe für unsere Erwartungen sprachlich ausdrücken, wenn wir die Wünsche der Kinder anerkennen und ihnen einen angemessenen Raum geben, ohne unsere berechtigten Absichten aufzugeben.“
(Anna Tardos, Anja Werner „Ich, Du und wir. Frühes soziales Lernen in Familie und Krippe“)

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Tibamietz

    Hallo Nadine,mein Sohn hat gerade auch mal wieder eine sehr ausgeprägte "Bockphase" mit der er den ganzen Tagesablauf über den Haufen schmeißen kann. Seine Kindergartentante kann ein Lied davon singen. Zumindest in einigen Dingen hat sie aber einen Weg gefunden, damit umzugehen. Zum Beispiel braucht er sehr lang zum einschlafen und ist dementsprechend schlecht drauf, wenn es um das Aufstehen geht. Inzwischen "wirft" sie ihn nicht mehr aus dem Bett, sondern lässt ihn selbstständig aufwachen. Das passiert ja sowieo wenn 10 andere Kinder wach sind un um ihn herum wuseln. Würde sie das nicht so machen, hätte sie ein heulenden, wütendes Kind dass vor lauter Verweigerung nicht in der Lage ist, sich anzuziehen. So wie sie es jetzt handhaben, macht er das aber komplett allein. Win Win!Trotzdem vergesse auch ich oft genug, dem kleinen Kerl Verständnis entgegenzubringen. Wobei das auch nicht einfach ist, wenn die Zeit drängt, er vor lauter Verweigerung gar nichts von dem hört, was ich sage und meine Nerven aus was für Gründen auch immer gerade blank liegen.LG Tina

  2. NADiNE

    Ja, manchmal müssen die Kids eben erst so richtig "rumbocken", damit sich was tut. Aber immerhin, schön, wenn sie damit was erreichen.Bin natürlich auch nicht immer die Geduldigste. Schon gar nicht mit Frau Klein im Bauch. Aber ist doch gut, wenn man immer wieder dran erinnert wird oder sich selbst erinnert. Wir wachsen ja alle gemeinsam….lg und schönen Abend,Nadine

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