Erzählt den Kindern ihre Geschichte!

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Auf Grund der Herzgeschichte von Herrn Klein und den Krankenhauserfahrungen, die wir mit ihm hatten (auch unabhängig vom Herz) bin ich immer wieder in Gruppen unterwegs, in denen betroffene Eltern ihre Erfahrungen austauschen, Hilfe unter Gleichgesinnten suchen und sich versuchen zu unterstützen. Das ist für viele sehr wertvoll. Aber was ich dort auch sehe ist: Es geht immer nur um die Eltern. 

Versteht mich nicht falsch, ich weiß schon, dass die Eltern sich sehr um ihre Kinder sorgen und wenn sie versuchen für sich Hilfe zu holen, dann tun sie das indirekt natürlich auch für ihre Kinder. Und oft drehen sich auch die Fragen um das „Was tue ich mit meinem Kind wenn?“ oder „Kennt Ihr das von Euren Kindern?“

Meistens werden dann Erfahrungen  ausgetauscht. Geh zur Cranio. Osteopathie war hilfreich. Uns hat TCM geholfen. Uns Kinesiologie. Meist sind es Methoden die versuchen über körperliche Arbeit am Kind Besserung und Erholung zu schaffen. Das mag einigen helfen und vor allem den Eltern das Gefühl geben, dass sie ihren Kindern damit Unterstützung geben, wo sie am Limit und ratlos sind. Es ist sicher auch nicht schädlich. Aber ich stelle immer wieder eines fest: Was Kinder vor allem brauchen ist eine Erzählung. Und zwar die Erzählung der eigenen Geschichte.

War die Geburt schwierig / traumatisch: Geh zur Osteopathin.

Hatte das Kind einen frühen Krankenhausaufenthalt: Geh zur Cranio.

War das Kind anfangs von der Mutter getrennt: Trage Dein Kind viel.

Das sind Beispiele, die ich immer wieder lese. Und ich will sie nicht als sinnlos abtun. Aber die Kinder würden sich noch leichter tun, wenn sie vor allem eines einmal erfahren würden: Was genau ist mit mir passiert? Und wie steht es jetzt um mich und meine Eltern?

Nicht selten sind wir Eltern selbst überfordert mit dem, was geschehen ist. Sei es eine traumatische Geburt, ein Krankenhausaufenthalt, eine Operation o.ä. Auch kurze „Schockmomente“, in denen eventuelle Krankheiten zur Sprache kommen, die dann schnell wieder vom Tisch sind oder unbestätigt, können Nachwirkungen nach sich ziehen.

Deshalb möchte ich immer wieder eines raten: Redet mit Euren Kindern. Erzählt ihnen ihre Geschichte. Nicht erst, wenn sie erwachsen sind oder selbst Kinder bekommen, sondern so früh wie möglich.

Über den Kinderarzt Dr. Wolfgang Schallert, den ich bei einem Vortrag in Salzburg, aber auch als Patient mit Herrn Klein kennenlernen durfte, erfuhr ich über die Wirkung der Worte, „die in die Seele des Säuglings dringen und dort ihre heilende Wirkung entfalten können.“ Er hatte die Art und Weise mit Eltern und Säuglingen zu reden von der französischen Kinderpsychoanalytikerin Françoise Dolto gelernt und von da an jahrelang in seiner Praxis erfolgreich angewendet.

Leider gibt es nicht überall einen Dr. Schallert, die wenigsten Kinderärzte wissen darüber bzw. nehmen sich die Zeit auf diese Art und Weise mit Familien zu arbeiten. So bleiben Eltern überfordert mit ihren Kindern zurück und suchen Hilfe im Internet.

Sicher gibt es Fälle, bei denen es sinnvoll ist einen Kinderpsychologen aufzusuchen. Aber es gibt genügen Fälle, denen es allein schon helfen würde, wenn die Eltern ihren Kindern einfach ihre Geschichte erzählen würden. Kurz und knapp, mit einfachen Worten aber ehrlich und klar. Es mag sein, dass sich Blockaden im Körper des Kindes bilden, die ein Osteopath aufspüren kann. Oftmals jedoch glaube ich dass eine osteopathische Behandlung, bei der Eltern gesagt bekommen wo welche Blockaden vorliegen und wie sie behandelt werden können, die Eltern eher beruhigt als das Kind behandelt. Denn wenn die Eltern nun mit dem Wissen aus der Behandlung gehen und darin vertrauen, dass ihren Kindern nun geholfen wurde, so werden sie entspannter wirken und das wiederum wirkt sich auf die Kinder aus. Ich bin jedoch überzeugt, dass das keine nachhaltige Behandlung ist, wenn die Kinder nicht dennoch ihre Geschichte erfahren und wissen, was mit ihnen geschehen ist, wie es ihren Eltern damit ergangen ist und wie es ihnen jetzt geht. Worte und Sätze können so viel bewirken. Vor allem wenn sie von den uns vertrautesten Personen kommen. Auch wenn sie schmerzhaft sind, Wahrheit beinhalten, die schwer ist. Über sich selbst zu wissen, sich selbst ein Stück besser zu kennen, macht diese Worte im Nachhinein so viel leichter.

Als Miniklein wenige Tage alt war, hatte er eine ausgeprägte Gelbsucht. Die fehlende Februarsonne trug dazu bei, dass wir das ohne ärztliche Hilfe nicht in den Griff bekamen und so bekam er eine zweitägige Phototherapie. Dabei wurde er in der ersten Nacht von einer für ihn zu warm eingestellten Wärmelampe überhitzt und bekam Fieber, schrie viel bis man bemerkte, was los war. Seine Herzfrequenz war daraufhin sehr hoch und obwohl auf der Hand lag, was der Auslöser war, wurde bei ihm gleich – auch auf Grund der Herzgeschichte von Herrn Klein alarmiert – das Herz untersucht. Plötzlich saß ich in dem Spital, in dem damals der Herzfehler von Herrn Klein entdeckt wurde wieder mit meinem Neugeborenen im Arm, hielt seine Beine für ein EKG still und sah bei einem schon hundert Mal gesehenen Herzultraschall auf seiner kleinen Brust zu. Da kamen allein in mir Gefühle hoch, die ich längst verdrängt hatte. Als wir dann wieder daheim waren schlief Miniklein plötzlich sehr schlecht und schrie einige Nächte hindurch. Ich setzte mich mit ihm hin und erzählte ihm, was im Krankenhaus mit ihm geschehen war. Ich erklärte ihm auch, dass er die Gelbsucht nun überwunden hatte, dass sein Herz gesund sei, dass ich sehr besorgt gewesen sei aber nun beruhigt war, dass es ihm gut ging.

Miniklein beruhigte sich wieder, schlief tiefer und ruhiger und für einige Monate sogar durch. (Keine Sorge, mittlerweile schläft er so, wie ein einjähriges zahnendes Kind eben schläft…).

Es ist für uns Eltern nicht immer leicht über diese Erlebnisse zu reden. Vor allem wenn es die Geburt betrifft oder lange Krankenhausaufenthalte. Dann ist es wichtig, dass wir uns selbst Hilfe holen und die Geschichte für uns aufarbeiten um dann Hilfe für unser Kind sein zu können.

Ein Trauma entsteht nicht durch eine OP oder einen Krankenhausaufenthalt per se. Ein trauma entsteht vor allem dann, wenn wir die Schwere und Schwierigkeit darin überschweigen. Denn Kinder spüren viel von dem, was in uns ist und saugen all das auf. Wenn sie es jedoch nicht zuordnen können, kann es für sie zu einer großen Belastung werden.

Im Übrigen habe ich neulich jemandem gesagt, dass Herr Klein heute ein ganz anderes, leichteres, fröhlicheres Kind ist. Dass ich das nicht hätte glauben können, wenn mir das jemand gesagt hätte, damals, als ich sagte er sei ziemlich anders, damals, als wir im Sommer 2015 in Salzburg bei Dr. Schallert waren. Und als Antwort bekam ich: „Ja aber vielleicht ist er ja jetzt so leicht und fröhlich, gerade weil Ihr bei Dr. Schallert gewesen seid.“ Ich lächelte. Wieso hatte ich mir das nicht selbst zusammengereimt?

 

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Eva

    Vielen Dank für diesen groβartigen Text, der mir sehr, sehr nahe geht.

    1. buntraum

      Gerne, es ist auch für mich immer wieder ein sehr emotionales Thema.

  2. anitram

    Danke, das kann ich absolut bestätigen. Bei uns hat es nicht nur beim Kind, sondern auch bei mir sehr viel bewirkt, direkt darüber zu sprechen, was passiert ist. Und dass es vorbei und gut ist.

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