Erkenntnisse der Woche – überschätzt

IMG_7382Herr Klein hat sich diese Woche öfter schwer getan im Kindergarten anzukommen. Gerade diese Woche hatten sie die Gruppen umgestellt und er sollte von nun an in einen anderen Gruppenraum. Er wurde nun in eine Gruppe mit den „Älteren“ zusammengetan. Unter den Älteren sind dann aber auch die Vorschüler. Und der Gruppenraum erinnert von der Einrichtung her schon fast an einen Klassenraum. Es gibt viel mathematisches und sprachliches Material, Landkartenpuzzle und Flaggen für die Geographiekunde. Und mittendrin Herr Klein.
Als Herr Klein in der Krippe war, wurde er viel zu früh zu schnell zur Sauberkeit gedrängt. Er brauche keine Windel mehr, er sei „bereit“, es wäre nun das Zeitfenster für ihn. Wir sahen das anders. Zogen ihm Windeln an, sie zogen sie ihm aus. Gespräche waren so ertragreich wie eine Erdbeerernte im März. Mit 2,5 sollte er hinauf in den Kindergarten. Er wäre „bereit“. Er schien auch bereit und etwas gesättigt von dem Angebot in der Krippe. Kurz vor dem Wechsel dann der Stress „er müsse selbständiger werden, sonst würde er im Kindergarten oben bei den Großen untergehen.“. Druck. Nach vorn ziehen. Ich hielt dagegen. Half ihm nach wie vor beim An- und Umziehen. Ließ ihm Zeit.

Mit 3 wollte man ihm das minutenlange Abschiedsritual mit seinem Papa morgens abgewöhnen. Er wäre „bereit“. Sein Papa hielt dagegen, verlagerte das Abschiedsritual nach draußen, beide waren zufrieden.

Im neuen Kindergarten nun hat er sich nach anfänglichen Schwierigkeiten gut eingewöhnt. Kennt sich aus, kennt die Materialien gut, hat Freunde gefunden. Im Gespräch hieß es, er interessiere sich für das Sprachmaterial. Schon bekam er Schreibhefte vorgelegt. Er sei „bereit“ für das Schreiben mit dem Stift. Aber man müsse ihn motivieren.

Diese Woche kam mir die frustrierende Erkenntnis, dass mein Sohn wohl oft überschätzt wird. Weil er so ruhig ist. Weil er manchmal so weit scheint. Interessiert ist und – soweit ich weiß – den Regeln folgt. Er tut, was man ihm sagt, so scheint es oft, wenn sie erzählen „Er kennt sich aus, er weiß was zu tun ist, er macht mit.“ Brav?

Aber ich kenne Herrn Klein. Und erlebe ihn daheim oft ganz anders. Manchmal habe ich das Gefühl, als kämpfe ich zu Hause mit dem Resultat der ständigen Überforderung. Daheim scheint er einfach alles fallen zu lassen, sich fallen zu lassen. Er braucht mich sehr, kann scheinbar nichts allein tun. Er tut eben nicht, was ich sage. Er rebelliert und tobt. Er kann wild sein. Ganz einfach Kind sein. Und ich weiß, dass er sich in vielerlei Hinsicht eigentlich gemütlich entwickelt. Im Haus wohnen sehr sehr viele Kinder. Er versteht sich grundsätzlich mit denen am besten, die ca ein halbes Jahr bis ganzes Jahr jünger sind als er. Den großen schaut er nur beobachtend zu, lässt sich kaum mitreißen. Zieht sich dann eher zurück. Er meistert Dinge auf seine Weise. In Ruhe. In seinem Tempo. Zu seiner Zeit. Er ist so. Und es tut mir leid, dass er im Kindergarten oft so gezogen wurde und scheinbar immer noch wird.

Aber ich weiß nicht, was ich tun kann. Bestehe ich darauf, dass er die Gruppe wechselt, hole ich ihn von seinem neuen besten Freund weg. Und von der einzigen Pädagogin, die von Anfang an seine Konstante war, weil alle anderen gewechselt haben. Den Kindergarten kann ich nicht wechseln, weil ich das gerade getan habe. Und obendrein bin ich ein bisschen müde, ständig die laufenden Windräder aufhalten zu wollen. Weil er angeblich zu etwas „bereit“ ist, von dem ich weiß, dass er es noch nicht ist. Ich bin es leid Gespräche zu führen und meinen Sohn zu erklären.

Und irgendwie glaube ich, dass das gar nicht so selten ist. Dass Kinder gedrängt und gefördert werden. Dass man sie im Sinne der Selbständigkeitsentwicklung viel zu sehr „anschubst“ und Druck macht. Von daher ist es fraglich, ob es in einem anderen Kindergarten anders wäre.

Also kann ich vorerst nur daheim eine Oase bieten, in der er der sein kann, der er ist. Wo er spielen kann, was er mag und vor allem: woran er Freude hat. Wo er einfach Kind sein kann.

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Ringelrose

    Es tut sehr gut, deinen Beitrag zu lesen, weil du nicht auf den verlockenden Zug aufspringst, dich in dem zu sonnen, was dein Kind schon alles kann … und weil du ihn nicht weiter in diese Rolle hinein-er-ziehst, sondern sehr genau schaust, was du bei deinem Kind wahrnimmst. Die ErzieherInnen sind das vermutlich nicht gewohnt von Eltern. Bleib bei deiner Wahrnehmung, hilf ihnen genauer hinzuschauen, melde ihnen deine Beobachtungen zuhause zurück… sie sollten froh über eine Erziehungspartnerschaft mit Eltern wie dir sein.

  2. Dine

    oh je… wenn ich sowas lese bricht mir das herz! …und ich sehe gleich wieder sehr deutlich, was ich für ein glück mit unserer kita und unseren erziehern habe.
    leider höre/lese ich sowas immer wieder und frage mich – wie vermessen können erzieher eigentlich sein? die behaupten doch glatt, dass sie dein kind besser kennen, als du!!?!! unfassbar!

    aber…auch wenn es viel kraft kostet: kämpfe für dein kind, rede, führe gespräche mit dem erziehern, der leitung der kita. es muß, MUSS sich etwas ändern! ich hatte ein ähnliches problem mit dem großen in der schule (mit 5 1/2 jahren eingeschult… und jetzt eine lese-rechtschreib-störung und ein adhs daraus entwickelt… schlimm)

    ich drück dich und schick dir gedanklich ganz viel kraft!!
    dine

  3. Lena

    Oh je :( wir haben das auch erlebt, und anderes mehr. In Krippe und 2 Kindergärten . Inzwischen ist es uns möglich, dass die Kinder Zuhause bleiben können und nicht in Kiga oder Kita gehen. Einzige Option wäre der unserer freien Schule , in die die Große geht, angeschlossene Kiga.

  4. Verena

    Tatsächlich, ich kenne das auch. Allerdings ist bei uns sder Druck von außen nicht ganz so deutlich und stark. Aber vom Wesen her haben wir wohl doch zwei ähnliche Kinder. Und ich habe auch an manchen Tagen das Gefühl ich muss seine Angepasstheit im Kindi zu Hause mit ihm ausbaden und wilder toben als es mir manchmal entgegenkäme. ;) Beziehungsweise mein Kind fordert an zwei Punkten ganz enorm dann seine Zeit, seine Art, seine Weise mit den Dingen umzugehen, beim Anziehen und Gehen Morgens und beim Schlafen Abends.
    Und ich sehe sowohl mich als auch schlicht meinen Sohn ab und zu überfordert vom ‚Alltagsdruck‘.
    Und im Moment habe ich da zwei Antworten für mich darauf. Die eine ist schlicht: ‚ja, so ist das und daran kann man sogar wachsen‘. Und die andere ist: ‚wenn man sich eben auch seine Inseln bewahrt‘. Inseln sind zum Beispiel die Verweigerung dieses Drucks indem man eben doch mal zu spät kommt, oder man verhandelt, dass das Kind eben noch nicht bereit ist, oder eben der Ausgleich, den man zu Hause schafft, auch für sich selbst, und natürlich ganz wichtig die Beziehungen, die uns tragen bewußt zu erleben und zu genießen. Und sich austauschen. ;)

    In diesem Sinne einen ‚angenehmen Abend‘ heute, gerade für Herrn Klein.

    1. buntraum

      ja, genau gerade morgens und abends finden hier momentan die Kämpfe statt. Ich tendiere auch dazu ihn einfach mal einen Tag daheim zu lassen, mal ein langes Wochenende einzulegen. Vielleicht sollte ich das überhaupt mal wieder tun. Danke für den Denkanstoß und Gute Nacht!

  5. Kathleen

    Das ist mal eine ganz andere Perspektive – ich erlebe viel zu oft Eltern, die Druck machen und meinen, im Spiel lernen die Kinder viel zu wenig und sind unterfordert – Vorschule, Arbeitsblätter, Konzentration und still sitzen werden gefordert, der Bildungsweg schon vorprogrammiert… – Schön das Dein Sohn so sein darf, wie er ist und Du ihm die nötige Zeit, Geduld und Vertrauen in seine Fähigkeiten gibst – nichts anderes benötigen Kinder!

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