Erkenntnisse der Woche – Ich brauche keinen Rollkragenpullover

usAls ich 27 war, hatte ich genug vom Männer Kennenlernen und wieder Vergessen. Ich hatte keine Lust mehr aufs Anhimmeln, Aufreißen, Aufregen und Herzbruch. Ich wollte keine coolen Parties mehr um selbst cool zu sein. Und ich hatte genug von denen, die mich nur dann für cool hielten, wenn ich auf coolen Parties cool war. Ich wollte Ruhe. Und ich wollte jemanden ruhiges an meiner Seite.

In meiner Vorstellung war dieser Mensch kein Student, weil Studenten zu viele Parties feierten, auf die ich keine Lust mehr hatte. Er war über 30, weil ich denen eine gewisse Reife zusprach und eben solches Ruhebedürfnis, das ich bereits verspürte. Nach all den Jahren Party und Spaß. Und in noch detaillierterer Vorstellung trug dieser Er einen Rollkragenpullover. Ja, ich liebe Rollkragenpullover an Männern, so wie manche blaue Augen oder lockige Haare lieben. Und dieser Nichtstudent, dieser Überdreißiger saß in meiner Vorstellung abends gern bei einem Glas Wein mit mir zusammen – im Rollkragenpullover versteht sich – und redete von mehr als dem Wetter (ich lebte zu der Zeit in Schottland, wo es schwer ist anderes Redematerial zu finden) und wilden Parties.

Eines Abends war ich mal wieder auf einer solchen Party eingeladen und traf dort auf einen Menschen, der all diese Vorstellungen nicht erfüllte. Er war ein 24 Jahre junger Student. Er trug keinen Rollkragenpullover und tut das bis heute nicht oder sehr sehr selten. Dennoch wurde er mein Mann, mein Herr Liepster und Vater meiner Kinder.

Und so saßen wir diese Woche abends zusammen, tranken ein Glas Wein und redeten. Und ich stellte fest, dass hier, direkt vor mir, genau diese Person saß, die ich mir damals, in meiner tiefen Frustration und Einsamkeit, vorgestellt und für mich gewünscht hatte. Der Mensch, der mich nicht auf wilde Parties schliff, der akzeptierte, wenn ich darauf keine Lust hatte. Der Mann, mit dem ich heute noch abends im Bett albern kichern kann. Mit dem ich alle Friends Folgen schon drei Mal durchgeschaut und unerträglich viel gelacht habe. Und mit dem ich zum vierten Mal durch alle Folgen spaziere und weiter endlos lache. Der Mensch, der mich morgens so lange in Ruhe lässt, bis ich kaffeegetränkt auf dieser Welt angekommen bin. Der meine Kinder respektvoll und liebevoll behandelt. Manchmal geduldiger und mit noch seeligerer Ruhe als ich. Der Mensch, der mein Bedürfnis nach Distanz und Ruhe akzeptiert und mich dann wieder auffängt, wenn ich zu mir selbst zurückgefunden habe. Der als erster meine fabulierten Texte lesen und kritisieren darf. Der als erster erfährt, wenn sie irgendwo publiziert werden. Der Mensch, mit dem ich so gut wie nie streite, sondern nur genervt schweige. Bis wir beide lachen müssen und dann gemeinsam in Ruhe die Dinge besprechen. Der Mann, dem ich bei den Geburten unserer Kinder die Finger quetschen und die Ohren zerschreien durfte. Und der mich heute noch liebt. So, wie ich wirklich bin. Ich. Wer auch immer das sein mag.

Und in diesem Moment, an diesem Abend neben meinem Herrn Liepsten, da war ich so glücklich und zufrieden. Weil ich mit ihm so glücklich und zufrieden bin. Und ich stellte erstaunt fest: Ich brauche keinen Rollkragenpullover. Ich habe alles.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Sandra

    Also Herr Liepster, herzlichen Glückwunsch zu so einer Liebeserklärung! Die bekommt nicht jeder ;-)
    Gott sei Dank habe ich auch einen ähnlichen Fund in meinem Leben…

  2. elisabeth

    oh… so eine schöne Liebeserklärung—-rundherum! wunderbar. der glückliche. und du glückliche :-)

  3. Jela

    Oh, wie schön…. da freut man sich gleich mit!!! Was für ein Glück!

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