Eltern, fürchtet Euch nicht vor dem Nein Eurer Kinder!

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Ich bin ja ein sehr konfliktscheues Wesen. Lieber schließe ich die Tür und verstecke mich, als mich einer Auseinandersetzung zu stellen. Naja oder zumindest habe ich das bisher so getan. Doch ich lerne und wachse. Ich lerne, dass Konflikte dazu gehören und nur gut gelöst werden können, wenn man sie anspricht. Und ich wachse an diesen Herausforderungen. Schuld daran sind meine Kinder. Danke!

Aber ich erlebe es immer wieder, dass Eltern die Konflikte – vor allem eben die mit ihren Kindern – meiden. Sie laufen mit ihnen gemeinsam Runden durchs Wohnzimmer, um das Kind anzuziehen. Weil es sich auf die Abmachung „nach jeder Runde ein Kleidungsstück“ eingelassen hat, nachdem es auf das „Ich möchte Dich jetzt anziehen.“ nicht reagiert hatte. Wir verbiegen uns vor dem Spiegel beim Zähneputzen mit Faxen und Reimen, wir machen Grimassen beim Wickeln, wir singen achso lustige Aufräumlieder. Wir verhandeln mit unseren Siebenjährigen als wären wir Marktverkäufer. Wir bieten hastig Alternativen, damit das Kind nicht schreit. Wir lenken ab. Wir zerdiskutieren die Formulierungen von Bitten und Aufforderungen, damit sie so beim Kind ankommen, dass es schnurstracks kooperiert. Und mein Eindruck dabei ist: Eltern fürchten die Auseinandersetzung mit ihren Kindern.

Wenn ich in Einzelgesprächen oder Familienbegleitungen sage oder schreibe: „Was genau willst Du vom Kind? Sag es ihm so!“ dann höre ich: „Da kommt sofort ein Nein.“ oder „Da reagiert er sowieso nicht drauf.“ oder: „Dann sagt er xyz.“

Und genau da ist das Problem!

Erstens: Wir haben schon im Vorfeld die Haltung, dass unser Kind nicht kooperieren wird. Natürlich wird es das dann auch nicht. Kinder spüren, ob wir ihnen etwas zutrauen, oder ob wir nur Floskeln ausprobieren, weil jemand gesagt hat, die würden „funktionieren“. Kinder funktionieren genauso wenig.

Das zweite Problem ist: Was ist schlimm dran, wenn das Kind dann „Nein.“ sagt oder nicht kooperiert? Das heißt doch nicht, dass die Welt zusammenbricht. Das heißt nur, dass ich hier einen Konflikt habe, den ich lösen kann. Ich kann nochmal hinterfragen, was genau ich hier will und warum. Und das weiter klar kommunizieren.

Frau Klein hat momentan so Abende, da will sie einfach nicht, was ich will. Es ist Zeit sich umzuziehen, das machen die Kinder normalerweise allein. Sie bleibt auf dem Sofa liegen und verweigert. Ihre einzige Antwort ist: „Nein, mache ich nicht.“ Hier gibt es für mich keine Diskussion in dem Sinne. Es ist spät, es ist Zeit und es ist der normale Ablauf. Also bleibe ich dabei, etwas deutlicher vielleicht: „Ich will, dass Du Dich jetzt umziehst.“ Sie bleibt beim Nein. Nun kann ich überlegen, was das Problem ist. Es ist ja nicht, dass sie sich gegen mich wehrt. Sie ist womöglich einfach schon zu müde. Sie braucht vielleicht einfach etwas Begleitung. Wenn ich schon recht genervt bin vom Tag, widme ich mich erst einmal dem Großen und lasse sie kurz in Ruhe. Atme selber durch und lasse mich nicht gleich davon aus der Bahn werfen. Dann kann ich ihr entgegen kommen. „Soll ich Dir helfen? Schau hier liegt Dein Schlafanzug.“ Dann muss ich ihr vielleicht einen Socken oder die Hose ausziehen, der Rest geht dann schon allein und sie ist wieder voll in der Routine drin. Manchmal hilft es auf die lustige Art. „Wenn Du Dich nicht umziehst, muss ich dich mit den Füßen an die Decke hängen.“ und ich nehme sie bei den Füßen und halte sie. Dann lachen wir und alles kommt auf Reihe. Denn manchmal ist eine Verweigerung einfach nur die Suche nach Nähe. Sie wollen ja nicht nur unsere Aufforderungen und Bitten erfüllen, sie wollen dabei immer wissen: Hast Du mich noch lieb? Darf ich so sein, wie ich bin? Auch wenn ich heute müde oder grantig bin? Sie können das eben nur nicht so ausdrücken.

Und natürlich testen sie unsere Grenzen aus. Wie lange kann ich das Schlafengehen rauszögern? Wie oft muss ich um ein Eis betteln, bis ich vielleicht doch eins kriege? Meint sie das wirklich so? Ist da irgendwo ein Hintertürchen offen?

Und das zeigt uns nur immer wieder: Wo bin ich klar? Wo weiß ich, was ich will und kann es gut kommunizieren? Wo schwanke ich? Und da sind meine Kinder großartige Lehrmeister. Sie fordern mich da immer wieder heraus. Das kommt Miniklein nun zugute. Denn dem gegenüber bin ich schon viel klarer, als ich es bei Herrn Klein damals war. Was aber auch nicht heißt, dass nicht auch wir unsere Auseinandersetzungen haben. Weil ja doch wieder jedes Kind anders ist. Aber damals habe ich mich noch vor jedem „Nein.“, jedem „Ich will aber nicht.“ gefürchtet, habe schon die ersten Nerven geschmissen beim Gedanken daran, wie viele Nerven ich nun wieder schmeißen werde. Und auch heute noch kann Frau Klein mir großartig mit einem „Ja aber trotzdem!!!“ trotzen, wenn ich ihr etwas verweigere. Auch wenn ich ihr erkläre, dass ich keine Kaugummis habe oder sie jetzt noch bei keinem Kind anklopfen darf, weil es noch zu früh ist. Es zeigt mir: Sie wollen es genau wissen. Sie wollen mir irgendwas sagen (meist etwas ganz anderes). Und ich habe gelernt: Ich kann das nehmen. Ich muss da nicht gleich nervös werden. Es wird nicht unbedingt ein Wutanfall folgen. Und selbst den kann man begleiten.

Und wenn ich dann so klar bin, dass sie laut brüllt: „Lieb sein!!!“ dann weiß ich, was sie eigentlich will. Und dass dieser Konflikt nur aus dem Weg muss, damit wir uns dem Wesentlichen zuwenden können.

Also fürchtet Euch nicht. Konflikte, Neins und Ablehnungen sind nicht das Schlimmste. Sie fordern uns, aber sie gehören auch einfach dazu. Es gibt keine Rezepte, sie zu umgehen oder ganz und gar auszuradieren. Das wäre unnatürlich und fad.

Humor und Spaß sind dabei immer erlaubt. Aber passt auf, dass Ihr nicht so lange mitspielt, dass Euch eigentlich der Spaß vergeht dabei. Denn wir laufen vielleicht eine Runde dem Kind lustig hinterher. Aber das Kind findet das wirklich lustig und läuft zwölf Runden, wo wir vielleicht irgendwann die Nerven verlieren. Weil wir ja eigentlich von Anfang an nicht laufen wollten, sondern ne Windel auf den nackten Po bringen wollten. Achtet darauf, dass Ihr nicht lustig Spiele und Späße mitmacht, die Euch eigentlich gegen den Strich gehen. Geht in Beziehung mit dem Kind, aber bleibt auch in Kontakt mit Euch selbst. Spürt Eure Grenzen.

Aber das wichtigste: Fürchtet die Auseinandersetzung nicht. Kinder spüren das sofort, sie spüren unsere Unsicherheit und die damit verbundene Möglichkeit von eventuellen anderen Wegen und Türen.

 

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. andrea

    ‚…Aber das wichtigste: Fürchtet die Auseinandersetzung nicht. …‘ ich würde gern einen schritt weiter gehen. nehmt eure furcht vor der auseinandersetzung wahr und nehmt sie an (und hebt euch für später auf, der ursache dieser furcht auf den grund zu gehen). mir fällt es leichter, anzuerkennen, dass die furcht da ist und mich dann dennoch auseinanderzusetzen. danke für die anregung, andrea

  2. elisabeth

    danke für diesen wunderbaren artikel, liebe nadine – der sowas von passend kommt, nach einem abend mit vielen neins und verhandlungen wenns ums bett gehen geht… das sind zeilen, die ich mir sicher immer wieder durchlesen werde! :-)

  3. Anna

    Wow, toll geschrieben!
    Vielen Dank dafür!
    Herzliche Grüße, Anna

  4. lena

    Ich bin mitten drin in diesem Thema und sauge auf und denke und zweifle und lerne und streite mit mir (und auch dem Kind). Hab den Artikel jetzt zum zweiten Mal gelesen und jedes Mal sagt er mir was Neues.
    Danke.

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