Die Bälle rollen lassen

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Im Spielraum habe ich einen Wäschekorb voller Bälle. Verschiedenste Bälle. Greifbälle. Glatte Bälle. Igelbälle. Rote, grüne, gelbe, blaue. Harte und Weiche. Große und Kleine. Früher oder später steckt immer ein Kind die Hand in den Korb und greift nach den Bällen. Fischt einen heraus, noch einen, vielleicht noch einen. Es hält sich am Korbrand fest und sehr bald passiert es: Der Korb kippt. Die Bälle rollen hinaus und davon.

Mein erster Instinkt, wenn ich in der Nähe sitze, ist oft: Den Ball aufhalten und zurückrollen. Du willst den Ball doch haben, oder? Oder? Halt. Das ist nicht mein Spiel. Das ist Dein Spiel. Und Dein Spiel war: Bälle aus einem Korb fischen. Hinausräumen. Also halte ich inne und lasse den Ball an mir vorbeiziehen, folge ihm kurz, blicke dann zurück zum Kind. Das Kind: starr, den Blick auf den rollenden Ball gerichtet. So lange, bis er stoppt. Wusstet Ihr, wie weit ein Ball rollen kann? Ein runder Becher scheppernd kugeln kann? Ein Metalldeckel kreiselnd tanzen kann?

Diese Momente sind es, in denen die Welt stoppt. Nichts bewegt sich, nur der Ball, der Becher, der Deckel. Das Kind steht. Hockt. Sitzt. Vor allem: schaut. Es folgt dem Objekt mit großen Augen. Bis es still ist. Ganz still. Der Ball liegt. Der Becher steht. Der Deckel flach und stumm. Und dann, erst dann, entscheidet das Kind, welchem Spiel es folgen mag. Es krabbelt zum Ball. Es holt den Deckel. Oder es wendet sich ab, etwas ganz neuem zu. Es sucht die Mama und will sagen: Hast Du gesehen, was gerade wundersames passiert ist?

Allein das Kind entscheidet. Es ist sein Spiel.

So entsteht Fokus. Konzentration. Echte Freude. Begeisterung. Im Spiel. Selbstbestimmt. In Momenten wie diesen. Genau da.

Wenn wir die Bälle rollen lassen. Das Kind sich aufziehen lassen. Es nach dem Auto weit strecken lassen. Indem wir es das Puzzleteil drehen und wenden, weglegen, neu aufnehmen und anlegen lassen. Zusehen, wie es sitzt und schaut. Nichts tut. Scheinbar nichts tut.
Indem wir Geduld haben und es bestimmen lassen, wo es bestimmen darf, geben wir ihm die Fähigkeit konzentriert und fokussiert zu sein, zu werden, zu bleiben. Was für ein Geschenk.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Steffi

    Danke Dir für die Wertschätzung dieser freien Momente, die Du hier auf Deinem Blog immer mal wieder veröffentlichst! Es bekräftigt mich in meinem Tun, wenn ich (nicht nur meinen eigenen) Kindern immer wieder Raum/Zeit/Freiheit ermögliche, um sich selbst auszuprobieren, sich selbst zu erfahren.

    Leider ist das oft gar nicht einfach in unserer gehetzten Welt, wo selbst auf den Spielplätzen um die Ecke möglichst viel von (anderen) Erwachsenen angeleitet und reglementiert wird.

    Es gibt leider viel zu wenig Freiräume für Kinder, wo sie so sein können wie sie sein wollen und selbst entscheiden dürfen. Was wären wir oft erstaunt über das Tun der Kinder, wenn sie denn nur frei sein dürften.

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