Alles nur ne Phase ?

IMG_2995Wenn wir Bekannten mit Kindern begegnen und fragen, wie es so geht, was sich so tut, fallen oft die gleichen Sätze immer wieder. „Ach, die Zähne. Er ist so zuwider grad. Die Nächte sind ein Horror.“ „Wir sind wohl mitten in der Trotzphase angekommen.“ 
Mir verknotet sich bei solchen Sätzen immer wieder der Magen. Nicht nur, weil die Kinder oft daneben stehen, wenn sie so schubladisiert werden, sondern auch, weil sich in ihrem kurzen Leben alles nur auf Phasen zu beschränken scheint.

Es ist schon richtig – das Leben eines Kindes verläuft in Phasen. Jede Entwicklung – ob körperlich oder seelisch, hat ihre Zeit und oft auch einen Namen. Und nicht selten hilft es uns als Eltern auch, diese zu kennen. Denn wie oft fragen wir uns, was denn nun wieder los ist, weil wieder alles anders ist, alles, was sich soeben schön eingespielt und routiniert hat, Kopf steht und nichts mehr ist wie vorher. Zu sehen, dass sich eine kleine weiße Spitze durch den Kiefer bohrt, dass neue Fähigkeiten geübt werden, neue Wörter sprudeln, hilft uns zu erkennen: unser Kind befindet sich in dieser und jener Phase der Entwicklung. Und ist deshalb selbst verwirrt und unruhig.

Doch die Gefahr, die ich sehe und oft auch erlebe: die Kinder werden abgestempelt. Zähne. Trotzphase. Entwicklungsschub der 19. Woche. Was auch immer. Das Kind ist nicht mehr Kind, sondern Objekt in einer Schublade. Dort ist es drinnen und jedes Verhalten wird darauf bezogen. Tobt? Trotzphase, jaja. Kreischt auf? Die Eckzähne. Unruhiger Schlaf? Entwicklungsschub. Lernt Krabbeln.

Und so verlieren wir ganz schnell, ohne es zu wollen, den Kontakt zum Kind. Wir sehen und beachten nicht mehr, was es genau jetzt in diesem Moment braucht. Was heißt das denn, in der Trotzphase zu stecken? Heißt es wirklich wahllos zu wüten und zu toben und – eben zu trotzen – bis nichts mehr geht? Nein. Das Kind entdeckt den eigenen Willen, neue Fähigkeiten, die es selbst und allein machen will und manchmal kann, oder eben auch noch nicht. Die uns fordern, unsere Geduld strapazieren. Und genau darauf können wir eingehen. Denn jede Situation ist anders. Und je mehr wir uns bemühen zu hinterfragen, was genau jetzt der Auslöser für einen Wutanfall ist und so viel näher rücken, in Kontakt treten und mit unserem Kind gemeinsam diese Phase durchleben, desto besser lernen wir unser Kind dabei kennen. Und ich wage zu behaupten, dass ein Kind, das sich auch in diesen schwierigen Phasen verstanden und begleitet fühlt, sie besser und leichter durchleben kann, als wenn ich mich hinstelle und die Situation mit einem Wort wegwische.

Es geht nicht immer. Es fällt uns im Alltag schwer jedes Drama zu verstehen. Auch ich kann das nicht und manchmal möchte ich einfach nur eben so laut schreien und toben, weil ich nicht weiß, was mein Kind will und ich es nicht erfahren werde, weil es das selbst oft nicht weiß. Doch dann kann ich mich noch immer hinstellen und sagen: „Ich hab keine Ahnung was Du jetzt brauchst. Und ich kann Dir gerade überhaupt nicht helfen. Ich brauche jetzt kurz 5 Minuten um selbst wieder durchzuatmen.“ Das zeigt meinem Kind: Ich bemühe mich, ich versuche es. Aber ich stemple es nicht ab.

 

Frau Klein wird in einer Woche zwei. Sie hat einen sehr starken Willen und weiß oft genau, was sie will oder nicht will. Momentan will sie vor allem eines: alles „leine“ machen. Alles. Sie kann das natürlich nicht immer. Aber das ist ihr egal. Ich habe gelernt, sie probieren zu lassen, egal was es ist. Denn wenn sie merkt, dass sie es nicht „leine“ schafft, dann bittet sie mich um Hilfe. In vielen Dingen hingegen überrascht sie mich, weil sie die nun tatsächlich allein kann. Und ich freue mich, dass ich Geduld aufgebracht habe zu warten. Sie tun zu lassen. Weil ich sie nicht einfach ihrer Trotzphase überlassen habe. Es gehört natürlich noch sehr viel mehr in diese Phase. Doch wenn wir versuchen zu sehen, was Gutes und Erleichterndes dabei entsteht, und nicht nur die anstrengenden und mühsamen Momente in den Vordergrund rücken, dann werden wir die Zeit gemeinsam viel sanfter durchleben können.

Und ich möchte doch auch nicht, dass, wenn ich mal gereizt oder genervt durchs Haus gehe, jemand sagt: „Ach, hast Deine Tage, hm? Na dann.“ Ich möchte vielleicht auch gar nicht immer sagen, was wirklich los ist, aber ich möchte nicht, dass ich einfach so abgestempelt werde. Ich möchte ernst genommen werden, egal, wie ich mich gerade fühle. Unsere Kinder wollen das auch. Also wenn Euch das nächste Mal jemand fragt, wie es Euch geht, was Ihr so macht, was sich so tut, dann  – egal wie schlecht die Nacht davor gerade war, egal ob Euer Kind Euch gerade vorher den letzten Nerv geraubt hat – findet etwas, was Euch zum Lachen oder Staunen gebracht habt und erzählt das. Es fühlt sich sehr viel besser an. Nicht nur für Euch.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Julia

    Ein wunderschöner Text!! Auch mir hat es schon geholfen, zu sagen „es ist nur eine Phase“. Damit sage ich mir aber im Prinzip nur, dass es zeitlich begrenzt ist und besser wird. Ich akzeptiere, dass es anstrengend ist, aber erinnere mich, wie gut es meist ist und wie gute es wieder werden wird.
    Aber beim Lesen Deines Textes ist mir aufgefallen, wie objektivierend das ist, wenn man es tatsächlich als bestimmte Phase auffasst! Und damit hast Du völlig recht.
    Danke.
    Liebe Grüße
    Julia

  2. elisabeth

    Danke für diese schönen Worte! Und wieder mal der Anstoß, auch und vor allem das schöne, lustige, fröhliche für mich zu sehen, und für uns alle – und mich berührt vor allem der Gedanke sehr, was und ich wie ich vor den kindern über sie und unser gemeinsames Leben erzähle/rede…. Danke für die vielen schönen Gedanken und Denkanstöße, die ich aus deinem blog bekomme – der übrigens der einzige bleibt, den ich dieses Jahr regelmäßig lesen werde… eines meiner Neujahrs-vorhaben ist: aus-misten, ent-lasten, WENIGER… beinhaltet auch meinen Rückzug aus FB, und Reduzierung dessen, was ich im WWW lesen will,,,,

  3. Birgit

    Schön, dass das eine junge Mutter mal ausspricht. Ich habe manchmal den Eindruck, dass viele sich in Themen hineinsteigern, egal ob das Trotzalter, Kindergartenprobleme, Schulprobleme, Vorpubertät, Pubertät,… – man schwimmt damit oft im Zeitgeiststrom mit und meint, im Austausch mit anderen Müttern zu sein, übersieht dabei aber oft die kindliche Individualität, und nicht zu vergessen: die eigene Individualität. Wir können ja schöpferisch gestaltend unser Leben ergreifen und die Beziehungen zu unseren Kindern ausformen. Die ganze Bestsellerliteratur über ‚Pubertierchen‘ und so finde ich eigentlich würdelos. Meine Kinder sind jetzt erwachsen/fast erwachsen und manchmal war ich auch ratlos und unsicher. Die Frage: Wer bist du?/Wer bin ich? immer wieder (natürlich nicht laut) zu bewegen führt uns eigentlich immer wieder zusammen. Und vor allem die Pubertät der Kinder habe ich als überaus spannende, bereichernde Lebenszeit für mich erlebt. Liebe Grüße und vielen Dank für den Buntraum!

  4. Steffi

    Ein wunderbarer Text! :-)
    Ich kommentierte hier schon gestern, aber der Kommentar ist verschwunden. Leider auch meine weiteren Kommentare zu anderen Texten. Mache ich etwas falsch? (Entschuldige die technische Frage an dieser Stelle, ich wusste nicht, wohin sie soll.)
    Herzliche Grüße,
    Steffi

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