Alles muss raus

Im Sommerurlaub waren wir mit Herrn Klein auf einem Spielplatz. Da er sich vorher Wasser über sein T-Shirt gekippt hatte, und ihn so etwas wahnsinnig stört, ließ ich ihn eine Weile oben ohne herumlaufen, bis die Sonne das T-Shirt getrocknet hatte.
Es dauerte nicht lange, bis uns eine Dame ansprach „Ist er auch ein Herzkind?“
Herr Klein war bisher noch nicht allzu oft nackt in der Öffentlichkeit gewesen, und somit war ich recht überrumpelt.

Es stellte sich jedoch in einem Gesprächsschwall, der aus der Mutter in wenigen Minuten heraussprudelte, heraus, dass ihr Sohn Elias, fröhlich und blondgelockt, ebenfalls mit einem Herzfehler geboren war. Einem wesentlich komplexeren. Not-OP direkt nach der Geburt, lange Zeit im Krankenhaus, Herzschrittmacher, monatliche Kontrollen auch heute noch. Elias ist 3.
Wenig später gesellte sich ihr Mann dazu. Eben noch genervt, dass sie noch immer am Spielplatz umherliefen, und nicht an der Kasse zum Affenzoo anstanden, war auch er innerhalb weniger Sekunden in Erzähllaune, nachdem er erfahren hatte, warum seine Frau nicht planmäßig dort war, wo sie sein sollte.

Ich überließ einen Großteil des Gesprächs Herrn Groß und kümmerte mich derweil um Herrn Klein. Und mein Gehirn begann zu rattern.
Diese Familie hatte offenbar enormen Gesprächsbedarf, wenn sie so schnell so offen ihre Geschichte darlegten. Sie waren gebeutelt. Natürlich. Und hatten scheinbar nicht genug Ventile, um sich selbst etwas zu befreien.
Als wir uns verabschiedeten, wirkten sie fröhlich, wünschten uns Alles Gute und spazierten davon. Ein wenig leichter.

Vor ein paar Wochen kam ich am Spielplatz in Wien mit einer Großmutter ins Gespräch. Sie war mit Enkel (1) und Enkelin (4) unterwegs. Die Mutter des Enkels lag schwanger mit strenger Bettruhe zu Hause. Die Mutter der Enkelin lebte gar nicht mehr. Dramatische Geschichten stürzten auf mich ein. Am Ende verabschiedete sie mich fröhlich winkend und wünschte mir alles Gute für die restliche Schwangerschaft. Sie hatte Luft gemacht.

Es ist so leicht zu sagen – Reden hilft ! Nicht immer sind wir dann, wenn gerade jemand zum Reden da ist, in der Stimmung. Nicht immer haben wir das Bedürfnis danach. Aber wenn es da ist, ist es oft schon unwichtig, wer der Schwamm ist, der das Gesagte aufsaugt. Auch wenn er es nachher wieder aus sich quetscht.
Oftmals ist es sogar gut mit Fremden zu reden. Die einem nicht Nahe stehen, nicht so schnell von Mitleid getragen die Gesichter langziehen.

Wenn ich zurückdenke, so fällt mir auf, dass ich (bzw. Herr Groß) in den Gesprächen selbst nicht viel gesagt haben. Das war auch gar nicht nötig.
Allzu oft glauben wir, dass wir auf gefühlsträchtige Sätze reagieren müssen. Die „richtige“ Antwort finden. Dabei ist es manchmal viel hilfreicher, nichts zu sagen, das Gesagte wirken zu lassen, und der Person mir Gegenüber Raum zu geben. Raum zum Reden. zum Weinen. Zum Fühlen. Zum Sein.

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