1 Jahr 4

IMG_7252Als wir nach dem Umzug die alte Wohnung geleert und gereinigt hatten, hatte ich das dringende Bedürfnis, mich doch im „Guten“ von dort zu verabschieden. Immerhin haben wir 5 Jahre dort gewohnt, sind als Paar eingezogen und als Eheleute mit zwei Kindern ausgezogen. Es ist viel passiert, vieles hat sich geändert. Wir haben uns geändert.

 

 

Während ich also durch die leeren Räume ging und sämtliche Eindrücke und Erinnerungen kommen ließ, fiel mir auf, dass sie sich hauptsächlich um Herrn Klein drehten. Als ich in sein Kinderzimmer trat, sah ich sofort die Kinderärztin, die dort damals seinen Herzfehler erstmalig diagnostizierte (bzw. die Vermutung äußerte).

Frau Klein tauchte in fast keiner Erinnerung auf. Im ersten Moment erschreckte mich das. Aber dann war es ok so, denn diese Erinnerungen an Herrn Klein als Baby, an seine Herzgeschichte sind einfach doch noch prägnanter und scheinbar wirklich sehr viel brisanter in meinem Leben, als ich geglaubt habe. Das darf so sein. Frau Klein hat einen anderen Platz und wird ihre Erinnerungen ebenfalls einbrennen. An anderer Stelle, auf andere Art und Weise.

Wir sind als Eltern oft versucht es beiden Kindern recht zu machen. Dabei geht es uns einerseits um materielle Dinge. Beide sollen gleich ausgestattet werden. Sollen finanziell die gleiche Unterstützung bekommen. Nur ist das oft beim zweiten Kind nicht mehr so möglich. Da sind wir finanziell anders beschaffen und zeitlich sowieso. Da haben wir nicht mehr die Zeit und Ruhe für Gruppen und Kurse, die wir mit dem ersten Kind ausgiebig genossen haben. Da wird vieles einfach „weitergereicht“.

Andererseits geht es um einfache emotionale Dinge. Ich habe es oft bejammert, dass ich Frau Klein anfänglich nicht die Ruhe geben konnte, die Herr Klein genoss. Sie war immer Teil des Geschehens, immer mittendrin. Ihre Schläfe richteten sich nach unserem Tagesablauf, nicht nach ihrem inneren Rhythmus. Sie hatte mich auch nie so ausschließlich und exklusiv wie er. Jedenfalls nicht so lange Zeit am Stück. Und nicht wenn sie es brauchte oder wollte, sondern wenn die Zeit dafür da war.

Bis ich begriff, dass sie das so auch gar nicht brauchte. Sie kannte es nicht anders und sie genoss genau das, was sie bekam. Ich hingegen lernte, dass das auch meist ausreichend war. Alles andere war Zusatz, Luxus. Ich sah, dass wir unseren Erstgeborenen oft mehr geben und bieten, als sie wirklich brauchen. Das ist ok, das gehört dazu. Aber es soll nicht zu einem schlechten Gewissen führen, wenn das zweite Kind all das nicht bekommen kann.

Denn Frau Klein hingegen bekam mehr Gelassenheit, mehr Leichtigkeit in gewissen Dingen. Sie bekam mehr Vertrauen in ihre Entwicklung auf ihre Art. Ich wog sie nie außerhalb der kinderärztlichen Besuche, ich akzeptiere was sie isst und was nicht. Ich finde es spannend, dass sie sich komplett anders entwickelt, aber ich vergleiche das nicht mit der Norm. Sie profitiert sehr von meiner etwas geübteren Klarheit. Ich mag fast behaupten sie profitiert von etwas weniger Aufmerksamkeit.

Sie ist heute 1 Jahr alt. Sie ist glücklich und zufrieden. Es fehlt ihr an nichts. Sie bereichert unser Leben auf ihre Art und allein durch ihre Anwesenheit. Ihres bereichert sie selbst Tag für Tag. Mit der Gewissheit unserer bedingungslosen Liebe und Zuneigung im Gepäck.

Es war ein aufregendes Jahr, es war fordernder als ich es mir je hätte vorstellen können. Es war erschöpfend in vielerlei Hinsicht. Es war voller Erkenntnisse und Einsichten. Aber jetzt, am Ende dieses einen Jahres bin ich glücklich. Wir sind glücklich. Da wo wir sind, wie wir sind. Herr Klein hat sich in seiner Rolle neu gefunden, Frau Klein hat ihren Platz. Der Liepste und ich sind mit ihnen mitgewachsen und gemeinsam gehen wir weiter unseren Weg als Familie zu viert. Ich freue mich diesen Weg weiterzugehen und hoffe, dass wir immer wieder neue Ziele, neue Rastplätze und neue Abzweigungen finden werden. Und dass wir nie ankommen. Dass es immer aufregend bleibt, spannend, lustig und berührend.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Kat

    So schön geschrieben! Danke! Das wünsche ich euch und uns auch!

  2. Lorelai

    Bei uns war das leider etwas anderes. Die Kleine forderte ab Geburt sehr, sehr viel Nähe und Aufmerksamkeit. Der Grosse kam und kommt noch immer oft zu kurz… Das tut mir sehr leid für ihn.

Schreibe einen Kommentar